In diesen Tagen scheint es vor Geheimnissen in den wissenschaftlichen Zeitungen nur so zu wimmeln. In NEW SCIENTIST wird die Frage erörtert, warum die bevorzugte Version der Stringtheorie (die selbst ein Mysterium ist) als M-Theorie bezeichnet wird, und der englischsprachige Aufsatz (S. 47 der Ausgabe vom 19.4.14) stellt einige Vorschläge vor – M wie miracle, M wie mindblowing, M wie Master, M wie missing, bevor der inzwischen als legendär eingestufte Ed Witten sagen darf, was er mit dem M gemeint hat. Das M steht für Membran, was auf den ersten Blick das Magical Mystery entfernt, aber nur, um es jetzt erst recht wieder zum Vorschein zu bringen. Membranen sind zweidimensionale Gebilde, und mit denen sollen eindimensionale Dinge – die Strings – das vierdimensionale Geschehen im dreidimensionalen Raum verständlich machen. Das muss doch ein Geheimnis bleiben und weiter den Physikern Vergnügen machen. Solange wir sie dafür bezahlen, uns so zu unterhalten.
Was auf jeden Fall ein viel schöneres Geheimnis ausmacht, stellt der Biologe Bernd Heinrich in seinem Buch über The Homing Instinct“ vor, in dem er „Meaning and Mystery in Animal Migration“ vorstellt und analysiert (New York 2014). Ein eindrucksvolles Beispiel handelt vom Zug der Uferschnepfen, also der an Ufern lebenden langbeinigen Vögel, die in der Arktik leben und den Winter in Australien und Neuseeland verbringen. Die Tiere können in weniger als neun Tagen von Alaska nach Neuseeland fliegen, und zwar ohne zu stoppen. Sie nutzen Windströmungen aus und wenden dazu ihr halbes Körpergewicht auf. Aber was immer man jetzt auch als Erklärung anfügt, die Leistung bleibt ein Wunder und der Vogelflug so geheimnisvoll wie andere Wanderungen von Tieren, die nach Hause oder eine neue Heimstadt finden wollen. Gut so.
Das dritte Geheimnis aus diesen Tagen handelt von der Allosterie, einer Qualität von zellularen Bausteinen namens Proteinen, die vor etwas mehr als 50 Jahren zum ersten Mal beschrieben und benannt worden ist, wobei das Hauptverdienst dem Franzosen Jean Pierre Changeux zukommt, der damals im Schatten seines großen Lehrers Jacques Monod arbeitete und bis heute auf den Nobelpreis wartet. Monod hat die Allosterie einmal „das zweite Geheimnis des Lebens“ genannt – das erste meint die Ebene der Gene und ihre Wirkung -, und in der Tat kann man sich nur wundern, wie es die Natur eingerichtet hat, dass Makromoleküle, die über eine Bindungsstelle für ein Signalmolekül verfügen , nach deren Besetzung ihre Funktionsweise darauf einstellen. Mit Hilfe der Allosterie wandeln Enzyme nach dem Empfang eines molekularen Signals ihre Tätigkeit, und die Frage lautet seit mehr als 50 Jahren, wie sie dabei vorgehen, was dabei vorgeht. Es reicht offenbar nicht, sich einfach vorzustellen, dass Strukturänderungen induziert werden – induced fit, wie es heißt -, vielmehr muss man physikalische Größen (Entropie) ins Spiel bringen, um den Fluss der relevanten Information durch ein Enzym (Makromolekül) verfolgen zu können (NATURE 508, S. 331, Ausgabe vom 17.4.14). Allosterie kommt dabei nicht durch die einzelnen Enzyme zustande, sondern durch das Ensemble, das sie in der Zelle bilden. Aber wie? Unser Leben hängt von der Allosterie ab, und sie bleibt ein biophysikalischen Rätsel. Was kann einem Forscher mehr gefallen?