Urchristlich und unchristlich

Ich bitte um Gnade und appelliere an die Nächstenliebe der Beiträger zu der Debatte, die nach meinen Anmerkungen zum Christlichen als Marketing Gag zweier berühmter Politiker – Adenauer und Kohl – hier gemacht worden sind. Die beiden Herren waren so unchristlich, wie man es sein muss, wenn man hierzulande an die Macht will, und daran haben sich die Menschen gewohnt und sie sind damit einverstanden, solange sie von den infamen und Zweitracht säenden Herren an der Spitze anständig behandelt werden und der private Wohlstand im öffentlich-christlichen Machtbereich zunimmt und die Korruption anderswo vermutet wird, nämlich hinter den sieben Bergen.

Bitte, bitte, keinen weiteren Streit mehr um das eigene Christliche und andere Unchristliche und keine weiteren Vorwürfe und Entschuldigungen, denn jetzt kommt ein Hinweis auf etwas zutiefst Urchristliches. Gemeint ist die Ursünde, die ja im Lutherjahr gerne gepredigt wird, da der sprachgewaltige Mönch vor 500 Jahren den Vers 3,23 aus dem Römerbrief gezielt so übersetzt hat, dass den Menschen nicht vorgeworfen wurde, gesündigt zu haben, sondern Sünder zu sein, auch wenn sie nichts dergleichen getan haben. Die Ur- oder Erbsünde – “peccatum originale” -, sie trägt man wie einen Buckel mit sich herum, und man kann sie nur durch die Gnade Gottes loswerden, wie zu lesen ist, und ich halte diese urchristliche Schuld für eine unchristliche und lieblose Haltung, und sie ärgert mich und hält mich mühelos vom Glaubenkönnen fern.

Wer fragt, woher diese furchtbare Idee der Ursünde kommt, wird irgendwann fündig bei dem Kirchenvater Augustinus, und der reagiert mit diesem gnadenlosen Konzept auf eine Erfahrung, die er als 16-Jähriger gemacht und die ihn den Rest seines langen Lebens verwirrt hat, wie seinen “Confessiones” zu entnehmen ist. Die in den “Bekenntnissen” mitgeteilte Erfahrung besteht darin, dass der Knabe eine heftige Erektion bekam und “die Dornen der Wollust” spürte, als er ein Badehaus betrat, und die Verwirrung kam, als er immer mehr über die Frage nachdachte, “Warum kann ich meinen Penis nicht unter Kontrolle bringen?” Warum mache ich, was er will, und nicht er, was ich will?

Da zeigt es sich schon sehr früh, das Leiden am Geschlechtlichen, das zum Menschen gehört und Augustinus dazu bringt, über die Frage nachzudenken, ob Adam im Paradies noch Sex dadurch haben konnte, dass er seinem Glied befahl, steif zu werden, um in Eva eindringen zu können. Augustinus versucht mit all seinen Geisteskräften herauszufinden, wie es wirklich war, damals am Anfang im Paradies, und er scheitert an dieser Frage kläglich. Im Gefühl seiner Niederlage ersinnt er die Idee der Ursünde, die den Menschen keine sexuelle Freiheit lässt und sie der Leidenschaft des sich willenlos hingebenden Fleisches überantwortet. Willenlos und rein animalische Fleischeslust? Wirklich? Oder geht das Umarmen und Vereinen von vertrauten und liebenden Menschen nicht eher voller Freude und mit tiefer Zuneigung vonstatten? “Kann denn Liebe Sünde sein?” hat Zarah Leander einmal singend gefragt, um zu betonen, “Lieber will ich sündigen als ohne Liebe sein.” Natürlich sündigen Menschen, und sie sind sicher, dass diese körperliche Liebe neben der zu Gott bestehen kann. Gott ist groß, und die Freude am Geschlechtlichen kann es auch sein. Das Leben wird damit schöner und sein Geheimnis tiefer. Vielleicht kann man im Augenblick eines erlebten Höhepunkts das Gefühl des Daseins bekommen, des Daseins beim Nächsten und beim Höchsten.


Dieser Beitrag wurde auch auf ScienceBlogs veröffentlicht.

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